Wahlberichterstattung und Medienwandel
Geht es um die Berichterstattung von Wahlen anderer Länder fällt es mir immer wieder schwer, in der Nachrichtengebung deutscher Medien die Fakten zu finden. Dabei ist es im Prinzip ganz einfach. Wie wäre es, wenn zunächst schlicht die Wahlergebnisse referiert werden? Und wer damit fertig ist, darf gerne seine persönliche politische Analyse nachliefern. Stattdessen werden in der Regel politische Botschaften gesendet, unmittelbar nach Schliessung von Wahllokalen, “untermauert” allenfalls durch Umfragen. Wenn Endergebnisse vorliegen, sind die meisten (deutschen) Berichterstatter*innen schon längst ein Dorf weitergezogen, aus Angst, irgendwann mal nicht als an der Spitze der Meute zu sein.
Spanien
So lief es jüngst bei der Parlamentswahl in Spanien. Nicht von geringstem Interesse ist in der Berichterstattung, welche gesellschaftspolitischen sozialen Bewegungen sich hinter einem Wahlergebnis verbergen. Die Gehaltsklasse deutscher Auslandskorrespondent*inn*en fremdelt damit naturgemäss. Was sollen sie schon davon wissen, wenn sie es nicht mit politisch motiviertem Interesse recherchieren – und von ihren deutschen Entsenderedaktiuobnen dafür keine Zeit eingeräumt bekommen? Hier eine Hilfe aus Österreich: das Onlinemagazin Mosaik führte ein Analysegespräch zur Spanienwahl.
Engelland
Das Muster wiederholte sich heute in der aktuellen Berichterstattung zu den englischen Kommunalwahlen. Ich hörte heute mittag von angeblich 400 verlorenen Sitzen der Konservativen, und Labour habe “auch verloren”, die “grossen Parteien” halt. So die Botschaft. Nun vergleichen Sie es mal mit originalbritischen Quellen. Die Financial Times meldet über 500 verlorene konservative Sitze, die im Endergebnis auf 750 hinauslaufen. Die bisherigen Labour-Verluste betragen weniger als ein Zehntel davon. Labour verlor ganze 4 Mehrheiten in Räten, die Konservativen 30. Die BBC-Ergebnischarts sind heute nachmittag schon weiter fortgeschritten: Konservative -820 (knapp ein Drittel verloren); Labour -89. Die englische Botschaft ist nicht, dass “die grossen Parteien” bestraft wurden, sondern die Rechte. Denn neben den Konservativen ist die rechtsradikale Ukip fast verschwunden, mit Sitzverlusten wie Labour, aber aus viel geringerer Höhe: von den Britfaschos blieb nur weniger als ein Fünftel überhaupt übrig. So weit Gewinner*innen identifizierbar sind, sind es die EU-freundlichen Liberaldemokraten und die Grünen, die beide aber hinter den Riesenverlusten der Konservativen und Rechten zurückbleiben.
ARD, ZDF und ihre Mediatheken
In solchen Momenten denke ich: wie schön, dass es das Internet gibt, und ich nicht mehr auf Märchen angewiesen bin.
Die Intendanten von ARD und ZDF haben es, wie sie bei Zeit-online schreiben, nun auch entdeckt, dieses Internet. Manche Netizens erschreckt das. Ich gehöre eher zu denen, die stöhnen: langsamer gehts wohl nicht. In Deutschland jedenfalls.
Steingart
Einer, dem es nie schnell genug geht, ist Gabor Steingart. Er macht die ganze deutsche Medienbranche verrückt, weil er mit Banknoten wedelnd Führungskräfte abwirbt, so jetzt auch den Chefradakteur der “Mutter” des General-Anzeigers, der Rheinischen Post. Und noch weiss weder jemand zu melden, wer dahintersteckt. Noch, was es werden soll. Manche meinen Steingart redet und handelt schneller als er denkt. Sein Charakter hat nicht dafür ausgereicht, Spiegel-Chefredakteur zu werden – im Gegenteil, die Mehrheit der Mitarbeiter*innen war eher froh, als er endlich ging. Bei Holtzbrinck wurden sie nervös, weil sie fürchteten, er werde ihr Geld verbrennen. Ich persönlich nehme ihn als Leser und TV-Glotzer als aus der Zeit gefallenen fanatischen Neoliberalen wahr, der aber in seinen aussenpolitischen Ansichten von den USA bis Russland bisweilen einen Realismus aufscheinen lässt, der der Politik der Bundesregierung um einige Meilen voraus ist. Bald wissen wir sicher mehr. Der liberale Guardian jedenfalls soll erstmals den digitalen Turnaround, die Gewinnschwelle erreicht haben – ohne Paywall! Diese Latte liegt für den rechten Steingard und die Kreativität und den Wagemut deutscher Investor*inn*en wohl zu hoch.
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