von David Kasparek
Bonn könnte einen neuen Veranstaltungsbau bekommen – einen Turm in der Rheinaue, mit dem sich Freunde der gepflegten Ästhetik schwer tun dürften. Interessanter aber, als auf Banausentum zu schimpfen, könnte es sein, zu fragen, warum ein solches Projekt vorgeschlagen wird und welche Sehnsüchte es zu erfüllen verspricht.

Die Bonner Rheinaue ist eigentlich ein schöner Park. Gäbe es hier schöne Spielplätze, sie könnte wahrlich ein Ort für die ganze Familie sein. Die Anlage entstand im Zuge und in Folge der Bundesgartenschau 1979. Im Norden schließt sich mit der Gronau jener Stadtteil an, der einige der geschichtsträchtigen und kontroversesten Bauten der ehemaligen Bundeshauptstadt beherbergt. Villa Hammerschmidt und Palais Schaumburg stehen hier, das ehemalige Bundeskanzleramt und Sep Rufs Kanzlerbungalow, das als „World Conference Center Bonn“ in das gebaute Kuriositätenkabinett eingegangene IKB Bonn und der nach seinem Architekten benannte Schürmann-Bau, dazu Murphy Jahns Post-Tower und Egon Eiermanns „Langer Eugen“. Ginge es nach dem Unternehmer Horst Burbulla, stünde diesen beiden Hochhäusern bald ein drittes Gegenüber.

Und ganz oben ein Konzertsaal – so stellt sich Horst Burbulla sein Geschenk für Bonn vor.

Burbulla hat ein stattliches Vermögen mit der Entwicklung von Kamerakränen verdient, die in verschiedenen, teils hochkarätigen Hollywood-Produktionen Verwendung fanden. Seit über 40 Jahren lebt er in Bonn und möchte der Stadt etwas zurückgeben, „etwas Besonderes“, wie er sagt. Dieses Besondere ist für ihn ein rund 220 Meter hoher Turm, dessen Spitze einen Veranstaltungs- und Konzertsaal für etwa 1.100 Gäste aufnimmt – inklusive Bar, Lounge und Restaurant. Gekrönt wird der Entwurf von einer konvexen Kuppel und einer Vielzahl merkwürdig anmutender Kristallornamente. Es wäre nun ein leichtes, an dieser Stelle einen Verriss des Projekts zu schreiben, über die – freundlich formuliert – Unbedarftheit der Architektur und den Irrsinn, einen Turm nur zu dem einen Zweck zu errichten, Menschen für Konzerte in seine Spitze zu transportieren. Aber das wäre zu einfach. Das würde der Diskussion um Architekturproduktion hierzulande keinen Gefallen tun. Man vergibt sich die Chance, einem aufschlussreichen Selbstverständnis, das hinter einer derartigen Initiative steht, nachzugehen, was möglicherweise zu ganz anderen Fragen führt, als wenn man die eigenartigen ästhetischen Vorlieben vom Tisch wischt. Denn Burbulla sucht den Weg der Entscheidung. In einem eigens angemieteten Ausstellungsraum versucht er die Bonnerinnen und Bonner von seiner Sache zu überzeugen. Eine Vielzahl von großformatig hinterleuchteten Visualisierungen zeigen Innenräume des Turms ebenso wie verschiedene Perspektiven im Stadtbild – jeweils zur unterschiedlichen Tageszeit –, dazu ein Modell im Maßstab 1:100. Burbulla sammelt Unterschriften. 10.000 muss er zusammen bekommen, dann ist er in der Lage, seine Idee als Bürgerbegehren vor den Rat der Stadt zu bringen, etwas mehr als 6.000 hat er Stand Mai gesammelt.

Burbulla, Bonn und das Bürgerbegehren

Die Architektur allerdings ist in vielerlei Hinsicht mehr als fragwürdig. Der Entwurf stammt von Horst Burbulla selbst. Im Gespräch im Showroom in der Bonner Innenstadt erklärt der Maschinenbauer: „Ich habe ein großes Team, das mich begleitet, Ingenieure, Architekten, Leute, die die Visualisierungen machen. Das ist ein echtes Gemeinschaftsprojekt.“ Ein hochwassersicherer Sockel nimmt alle Büros, Künstlergarderoben, WCs und die Garderoben der Gäste auf, man betritt den Bau über eine Treppe den Sockel hinauf, auf einem erhöhten Niveau also. Eine Stahlseil-Konstruktion trägt eine offene Glasschuppenstruktur, die teilweise mit Photovoltaik-Elementen ausgestattet ist. Zwei Berggondeln dienen als Hauptverbindung zwischen dem Entree und der auf 152 Meter Höhe liegenden Besucherplattform, die von einem Stahlbetonschaft getragen wird. Noch einmal acht Meter darüber befindet sich der zentrische Konzertsaal mit einer umlaufenden Bar nebst Lounge. Die kristallinen Elemente, die die Spitze des Turms umspielen, dienen keinem näheren Zweck. „Sie sollen an böhmische Kristallleuchter erinnern“, erläutert Burbulla und führt aus: „Für mich stehen sie für die Lebensfreude jener Zeit – aus der ja auch die alte Stadthalle stammt, die an diesem Ort stand.“

Diese, zwischen 1899 und 1901 nach einem Entwurf des Bonner Stadtbaumeister Rudolf Schultze errichtete Stadthalle war ein typisch wilhelminischer Hallenbau, der jeglichem rheinischen Veranstaltungszweck diente. Im Sommer als Ausflugslokal und Biergarten, sonst auch gerne, um Karneval zu feiern. Angeblich sollen die Bonner den Schultze-Bau „Bierkirche“ genannt haben. Im Krieg bis auf die Umfassungsmauern zerstört, wurde die Stadthalle 1953 gesprengt, die Überreste bis 1962 abgetragen.

Heute zeugen nur noch die Befestigung der Uferböschung mit ihrem steinernen Gelände von der vermeintlichen „Bierkirche“. Dennoch: An diese Tradition will Burbulla anknüpfen. „Es soll ein Ort werden“, so sagt er, „wo die Leute gerne hinkommen.“ Er bekommt glänzenden Augen, wenn er ausführt: „Der Ort soll die Bonner stolz machen. Schulklassen sollen da genauso hinkommen wie Touristen oder die Familien, die am Wochenende einfach nur ein Stück Kuchen essen und die Aussicht genießen wollen.“ All das mit „Wow-Effekt“. Dafür die Höhe, dafür die Ornamente. Für ihn steht der Turm in einer direkten Linie mit anderen touristischen Magneten unseres globalen Dorfes: Eiffel-Turm, Space-Needle, Elbphilharmonie. „Warum kommen denn die Menschen dort hin?“, fragt er rhetorisch, um sich direkt selbst zu antworten: „Weil diese Orte besonders sind. Und weil man von dort einen schönen Ausblick hat.“

Gegenstück zum Einheitsbrei

Mit dem Gros zeitgenössischer Architektur, das wird im Verlauf des Gesprächs klar, kann Horst Burbulla wenig anfangen. „Seit den 1920er Jahren, seit dem Bauhaus, gibt es nur noch diese glatten Oberflächen“, meint er, und deutet aus dem Schaufenster nach draußen: „Schauen Sie sich doch an, was am Bonner Hauptbahnhof entstanden ist. Das ist langweilig. Deswegen kommt keiner nach Bonn.“ Und damit hat er recht. Die Architektur, mit der wir einen Großteil unserer Städte verbauen, ist im besten Fall nicht weiter der Rede wert. In vielen Fällen aber ist sie ein Ärgernis. In Bonn haben sie in einem jahrelangen Verfahren die städtebauliche Wunde des sogenannten „Bonner Lochs“ heilen wollen. Das Areal nördlich des Hauptbahnhofs war Anfang der 1970er Jahren nach Plänen von Friedrich und Ingeborg Spengelin umgestaltet worden. Der großflächige Abgang zur U-Bahn etablierte sich schnell als Treffpunkt von Obdachlosen und Drogenkonsumenten. Das „Bonner Loch“ ist inzwischen geschlossen, die Drogen werden wenige Meter weiter westlich gehandelt. Der Eingang zur Stadt aber wird inzwischen nicht mehr von Spengelins zeitgeistiger 1970er Jahre-Architektur geprägt, sondern von einem gesichtslosen Shopping-Center, dessen Ankermieter wegen der Produktionsmethoden seiner Billig-Textilien seit Jahren in der Kritik steht.

Auch die architektonische Füllung der ehedem raumgreifenden Treppenanlage ist, gelinde gesagt, enttäuschend auch wenn sie städtebaulich historische Strukturen dieses Ortes aufnimmt. Eines Stadteingangs, wie ein Bahnhofsvorplatz ihn darstellt, ist der „Urban Soul“ genannten Entwurf von Cross Architecture rein architektonisch dennoch kaum würdig. Es steht zu vermuten, dass ihn die kommenden Generationen als genauso zeitgeistig verdammen, wie das den Planungen der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts an dieser Stelle widerfahren ist.

Von diesem architektonischen „Einheitsbrei“, wie er sagt, will Burbulla weg. Und das kann man verstehen. Aber weder der Weg noch das angestrebte Ziel erscheinen dabei adäquat. Sieht man von den Swarovski-kristallinen Strukturen an der Spitze einmal ab, ist der Turm, den der Unternehmer gerne verwirklichen möchte, nämlich ein eher sprödes Ingenieursbauwerk. Weder entwerferisch noch konstruktiv und in einer Art besonders, wie es ihm laut seiner Ausführungen vorschwebt. Für Burbulla aber ist Architektur „das Kleid, in dem wir uns anderen zeigen. Die Stadt ist die Bühne, auf der wir uns bewegen.“ Ein Bild, das ihm gefällt. Er erklärt seine Abneigung gegen den Einheitsbrei unserer Tage ebenso bildlich: „Meine Tochter bekam ein wunderschönes Kleid, als sie in die Schule kam. Sie trug es bei der Einschulung. Wenige Wochen später aber wollte sie es nicht mehr anziehen. Stattdessen wollte sie nur noch mit Jeans in die Schule. Warum?“ fragt er. Man solle ihn nicht falsch verstehen: „Ich habe nichts gegen Jeans. Aber entscheidend war, dass meine Tochter einem Druck ausgesetzt war, der dazu geführt hat, dass sie das Kleid nicht mehr anziehen wollte. Das hat mich traurig gemacht. Überall sehen wir diesen Durchschnitt, diesen Einheitsbrei. Das will ich nicht mehr. Davon gibt es schon genug.“

Wer entscheidet über Stadt und Architektur?

Wie aber entsteht Architektur in unseren Städten heute? Horst Burbulla und seine Mitstreiter – nach eigenem Bekunden auch Leute der hiesigen IHK – streben nach dem Wow-Effekt für Bonn. Touristen will man anziehen, ein weithin sichtbares Zeichen setzen. „Wir wollen die Menschen ja nach Bonn locken“, sagt er und fügt an: „Mit einer überregionalen Strahlkraft. Schauen Sie sich doch die Kuppel des Doms in Florenz an. Die brauchte damals auch keiner, aber auch wegen ihr ist Florenz so berühmt geworden.“ In der Tat entstand der Bau von Santa Maria del Fiore durch Filippo Brunelleschi ebenfalls vor allem aus dem Impuls, ein weithin sichtbares Monument zu schaffen. Als die Kirche im März 1436 geweiht wurde, herrschten die Medici in der Stadt, die nicht nur als Finanziers des Papstes berühmt, sondern auch ob ihrer Intrigen und Ränkespiele berüchtigt waren. Der Bau sollte vor allem ein Symbol ihrer Herrschaft sein. Dass Architektur heute unter anderen Umständen entstehen sollte, ficht Burbulla nicht an. Beispiele, die Architektur partizipativ und mit einem Mehrwert für Stadt wie Entwickler hervorgebracht haben, scheinen ihn wenig zu interessieren. „Meine Erfahrung ist, dass es nie gut ist, von einer starken Idee abzuweichen und den eingeschlagenen Weg zu verlassen.“ Eine Haltung, die im Film wohl tatsächlich für manches Meisterwerk verantwortlich ist. „Am Ende“, fährt er fort, „kommen so immer nur Kompromisse heraus, die selten gut sind und nie besonders. Da sind wir dann wieder beim Durchschnitt, beim kleinsten gemeinsamen Nenner.“ Für ihn ist es stattdessen Ausdruck genug, dass man sich mit dem Projekt der öffentlichen Diskussion stellt, um Unterschriften wirbt. Dabei bleibt der 61-jährige stets freundlich, hört ebenso interessiert zu, wie er überzeugt von seiner Idee eben diese präsentiert. Dass es ihm ernst ist mit seinem Engagement, merkt man ihm an.

Spannend für Bonn wie für die Argumentationsstrategien der Fachleute aus Architektur und Stadtplanung wäre dann der Fall, wenn Horst Burbulla für sein Projekt tatsächlich entsprechende Mehrheiten erzielen könnte. Wie weit der Geschäftsmann von seiner Vision des Turms abzurücken bereit ist, hat er zumindest schon einmal deutlich gemacht: „Für mich ist Architektur wie ein Gedicht. Da kann man auch nicht einfach eine Zeile austauschen oder gar wegnehmen. Sonst macht das ganze Gedicht keinen Sinn mehr. Das ist hier auch so.“
Der Autor studierte Architektur in Köln und war zwischen 2006 und 2019 in unterschiedlichen Funktionen Mitglied der Redaktion der BDA-Zeitschrift “der architekt” in Bonn und Berlin. Der sozialisierte Hesse mit hanseatischem Migrationshintergrund gründete 2008 die interdisziplinäre Plattform „friedwurm: Gestaltung und Kommunikation“, die sich im weitesten Wortsinn mit Gestaltung und ihrer Vermittlung beschäftigt. Mit Fokus auf Architektur und Industriedesign schreibt und moderiert David, ist als Berater und Grafiker tätig sowie als davidkaspar3k in den Sozialen Netzwerken umtriebig.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus „Marlowes“, ein Online-Magazin für Qualitätsjournalismus in den Bereichen Architektur und Stadt, mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion. Dort finden Sie auch erläuternde Illustrationen zu diesem Text.

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