Beueler-Extradienst

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Demonstrationsrecht für Rechte in “Corona”-Zeiten

Sie haben es mal wieder geschafft, die staatlichen Institutionen zu verarschen. Corona-Leugner, selbsternannte “Querdenker” (Ersatz für Nachdenken), Hooligans, Neonazis, Pegida-Aktivisten, Q-Anon Verschwörungsideologen, esoterische Blasenbewohner, krasse Egoisten, und die AfD haben in Leipzig einer viel zu schwachen Polizei eine Nase gedreht. Es geht nicht nur um die von Neonazis und Hools dominierte Demo vom vergangenen Samstag. Am 9. November, der Reichsprogromnacht, darf in Dresden PEGIDA hetzen, während Gedenkveranstaltungen an die Judenhetze und Morde ab 1938 wegen “Corona” abgesagt werden.

Sogar eine 1:18 Demo, die um 18.18 Uhr beginnen sollte – in der Codierung der Neonazis steht 18 für “Adolf Hitler”, den 1. und 8. Buchstaben des Alphabets, wurde erst in letzter Minute verboten. Wie naiv sind Sicherheitsbehörden, die im Falle von “Hambi”-Besetzern mit Terrorvorwürfen und Ermittlungen schärfster Art reagieren, sich aber von “Querdenkern” erzählen lassen, es gehe bei den – bei allen Demonstrationen des Sommers von Hooligans, Neonazis und Verschwörungsanhängern dominierten – Veranstaltungen um friedliche Versammlungen, die Auflagen beachten würden? Bei keiner dieser Veranstaltungen in diesem Jahr und der Anmelder rund um den “Querdenken 711” Finanzier aus Baden-Württemberg die Auflagen der Behörden eingehalten.

Das ist einschlägig bekannt aus allen Medienberichten, ebenso wie aggressive Übergriffe auf Journalist*innen und Gewalt gegen Polizist*innen. Wie kommt es, dass trotzdem keine Polizeikräfte aus anderen Bundesländern angefordert wurden, und bei einer als wahrscheinlich absehbaren Lage zur Auflösung der Demo, Festnahme von Störern und anschließender  Feststellung der Identität von Straftätern keinerlei Vorkehrung getroffen wurden? Dass letztlich über 20.000 Demonstrierenden, davon hunderten Gewaltbereiten gerade mal 2.000 Polizist*innen gegenüber standen, ist angesichts des absehbaren Veranstaltungsverlaufs ein Polizeiskandal erster Güte.

Reichsbürger, Q-Anon-Sekte, Hooligans

War der Verfassungschutz wieder einmal auf dem rechten Auge blind? Hat sich der polizeiliche Staatsschutz im Kälteschlaf befunden? Hat das  OVG Bautzen geglaubt, das Jahrestreffen eines Kaninchenzüchtervereins mit anschließendem Altstadtspaziergang zu erlauben? Warum wurden nach dem Urteil von der Einsatzleitung keine Verstärkungskräfte auch aus anderen Bundesländern angefordert? Erst vor wenigen Wochen sah die Berliner Polizei zu, wie unter Rädelsführerschaft einer in NRW beim Verfassungsschutz bekannten Reichsbürgerin – jener “Heilpraktikerin” aus dem Raum Aachen, über die Medien berichteten – eine Stoßtrupp Neonazis, Q-Anon Jünger und angeblicher “Querdenker” die Reichstagstreppe stürmte. Nun bot die sächsische Landesregierung den gleichen politischen Akteuren eine geradezu perfekte Showbühne.

Dass sich Michael Ballweg, Initiator von “Querdenken 711” auf seiner Homepage auf das Grundgesetz beruft, hat dieselbe Qualität der Anschuldigungen Donald Trumps wegen angeblicher Wahlmanipulation. Auf Veranstaltungen, die Ballweg organisiert, werden regelmäßig Grundrechte eklatant verletzt. Nicht nur durch die Gefährdung von Leben und körperlicher Unversehrtheit Dritter durch Masken- und Abstandsverweigerer.  Seine absurden “Musterschreiben”, Aufrufe und “Klagen” gegen die Maskenpflicht sind geeignet, seine naiven Anhänger ebenso gesundheitlich zu schädigen, wie unbeteiligte Dritte. Seine Anhänger, Komplizen und Mitläufer greifen regelmäßig auf Demos Journalisten an und verletzen die Pressefreiheit, werden gewalttätig, indem sie jede Menge von Straftaten von Beleidigung, über Bedrohung bis hin zum Bespucken von Passanten, Journalist*innen und Polizist*innen, also der versuchten Infektion mit “Corona” begehen.

Zeit für die Wahrheit, Zeit für Konsequenzen

Nun komme mir niemand, schon gar keine Grünen, mit dem Einwand, auf dem Demos seien doch nicht nur Neonazis, sondern auch besorgte einfache Bürger*innen, Esoteriker, Homöopathen, Meditationsgruppen und Achtsamkeitskreise anwesend gewesen, die sich friedlich für alternatives Denken einsetzen würden – die müsse man doch ernstnehmen und dürfe sie nicht kriminalisieren. Ich halte dagegen mit einem radikalen und klaren Appell an die Achtsamkeit dieser Teilnehmer*innen. Auch egomanische, selbstbezogene, realitätskritische und anthroposophisch entrückte Esoteriker*innen haben die weltliche Pflicht und Verantwortung, sich durch die Benutzung ihres Denkorgans und der Aufklärung durch allgemein zugängliche Informationen außerhalb (a)sozialer Netzwerke und Bewusstseinsblasen zu informieren, mit wem sie da gemeinsam demonstrieren. Von wem sie instrumentalisiert werden und – wenn das nicht freiwillig passiert – empfindliche Festnahmen oder Bußgelder nachhelfen, ggf. der Achtsamkeit auf die Sprünge helfen.

Das politische Spektrum, um das es sich hier handelt, ist nicht klein: Die “Querdenker” finden ihre Anhänger vornehmlich in Bayern und Baden-Württemberg, wo sie seit Jahren und Jahrzehnten stark sind. In Initiativen gegen Mobilfunkstrahlung, Aluhüten, in der Esoterikszene, Chemtrail-Gläubigen, über Anthroposophen bis zu Anhängern des “Dritten Weges”. Seit Jahrzehnten scheuen insbesondere die Grünen die Auseinandersetzung mit den zum Teil antiaufklärerischen, klerikalen und verschwörungstheoretischen Gruppen, Impfgegnern, Homöopathen, Heilpraktiker*innen, Schamanen und evangelikalen Sekten. Schon immer standen sich diese Gruppen und die rechte Szene nah.

Rechte Instrumentalisierung von Esoterikern und Naiven hat Tradition

Legendär ist in diesem Zusammenhang eine Auseinandersetzung zwischen dem “Achberger Kreis” – einer Gruppe des “Dritten Wegs” und Befürwortern der Volksabstimmung und Otto Schily in der Frühphase der “Grünen” 1983, als er noch für Bürgerrechte und Rechtstaatlichkeit stand: Als Otto Schily den kompromisslosen Vertreter der “Volkssouveränität”, Wilfried Heidt, auf dem Grünen “Volksabstimmungskongress” im November 1983 fragte, ob er ein fiktives  “Gesetz zur Einführung von Konzentrationslagern” zur Volksabstimmung zulassen würde, bejahte dieser. Dieser Dialog ist 37 Jahre her, aber er steht für die mangelnde Abgrenzung eines diffusen, schein-alternativen Spektrums gegen rechts. Otto Schily gab damals die einzig richtige Antwort: “Dann bist Du mein politischer Gegner!”

Diese klare und eindeutige Antwort der Gesellschaft und der Mitläufer gegenüber den “Querdenkern” und anderen, die ein rein verbales Verhältnis zum Grundgesetz haben, steht aus, sie ist heute wichtiger denn je.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

3 Kommentare

  1. rudolf schwinn

    Vielen Dank für den begründeten Warnruf von Roland Appel. Und wollen wir uns keine Illusionen machen, sondern Brechts immer noch gültigen Diktums erinnern: “Der Schoss ist fruchtbar noch aus dem das kroch”. Werner Friedmann, Oberhaupt der Familie mit der sich Martin Böttger an anderer Stelle befasst, legte mir beim Eintritt in die Nürnberger Redaktion der von ihm herausgegebenen Abendzeitung einen Vertrag vor, in dem es zu den “Richtlinien” in dieser Zeitung u.a. heisst: “Unterlassung jeder Form von militaristischer, nationalistischer und nationalsozialistischer Propaganda”. Diesen Vertrag habe ich am 1. September 1970 unterschrieben. Ich frage mich, ob es heute noch Zeitungen gibt, die geistesverwandte Haltungen in ihrer Richtlinie bekunden,
    Mit Dank und Hochachtung für den EXTR-Dienst aus Beuel,
    rudolf schwinn

    • Martin Böttger

      1. September 1970 – da ist ja “eben erst” der 50. Jahrestag gewesen. Da müssen wir, wenn es jemals wieder erlaubt wird, noch ein Glas drauf erheben! Denn es war doch für viele Menschen ein Glück und eine Freude, dass Du Journalist geworden bist. Es sind wenige geworden, von denen ich das behaupten würde.

  2. Hermann-Josef Arentz

    Lieber Roland, Du bringst es in allen Facetten exakt auf den Punkt. Ich bin erschüttert, wie sich der Rechtsstaat von diesem vergifteten Amalgan unterschiedlicher Gruppen vorführen und auf der Nase herumtanzen lässt.

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