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Dealer

Weitgehend unbemerkt, selbst von der Sportöffentlichkeit, findet derzeit wieder eine spektakuläre Pokerpartie zwischen privaten und öffentlichen TV-Konzernen um die TV-Lizenzen für Spiele der Deutschen Fussballliga (DFL) statt. Die haben zuletzt stark an Wert verloren. Jede Saison geht seit Jahrzehnten gleich aus, weil die sportliche Konkurrenz durch Kapitalüberlegenheit ausgeknipst ist. Und in der Corona-Pandemie hat sich das deutsche Fussballkartell zusätzlich über alle Maßen blamiert und schmerzfrei präsentiert.

Folgerichtig sind die Einschaltquoten der ARD-Sportschau am Samstag, die in der Regel die Zusammenfassung von fünf Samstagsspielen zeigte, kontinuierlich gesunken, auf 3-4 Mio. (von 85). Das ist zwar mehr als jede Talkshow, aber weniger als die Hälfte eines “Tatortes”.

Auch die Konzerne der Pay-TV-Kanäle sind nicht amüsiert. Kein einziger von ihnen arbeitet rentabel. Der Sky-Besitzer Comcast hatte sich beim Kauf vom Vorbesitzer Rupert Murdoch, dem reaktionären Regierungschefwähler in den USA, UK und Australien, über den Tisch ziehen lassen, und das zu spät bemerkt. Mutmasslich haben sie sich völlig unzureichend über europäische und deutsche Marktbesonderheiten beraten lassen. Und der Dazn-Oligarch Len Blavatnik? Über den und seinen Reichtum ist fast nichts bekannt, weil sich niemand traut, ihm hinterher zu recherchieren: er ist Ukrainer, Russe und Ami – gleichzeitig. Wovor fürchten sich also all die “Rechercheverbünde”? Jedenfalls hat Mr. Blavatnik an der DFL auch noch nichts verdient. Mit Dumpingpreisen hat er den Marktzutritt erobert. Um dann die Abopreise zu vervielfachen. Ich kenne viele, die danach gekündigt haben. Aber die Oligarchen-Konzerne machen das selbstverständlich nicht transparent.

Wenn über die Dealerei berichtet wird, dann lediglich, indem Durchstechereien einzelner Pokerspieler brav und unter Vermeidung jeglicher Kritik weitergereicht werden. Alle Jahre wieder gehört dazu die “Bedrohung” der ARD-Sportschau am Samstag. Bedrohung? Die ARD-Sender hätten mannigfache Alternativen damit umzugehen.

Recht auf Kurzberichterstattung endlich nutzen

Meine Lieblingsvariante: das europarechtlich garantierte Recht auf Kurzberichterstattung nutzen. Die fünf, bzw. mit dem 18.30 h-Termin sechs Samstagsspiele könnten in einem “ARD-Brennpunkt”-artigen Magazin im Anschluss an die Tagesschau völlig kostenfrei präsentiert werden. Die öffentlichen Sender würden damit weit über 100 Mio. (jährlich!) einsparen, und könnten das anderen Ressorts und Produktionen zukommen lassen.

Die Sky-Lobbyisten ventilierten eine auf 19.15 h verspätete Sportschau. Kann mann auch machen. Mein Vorschlag: nur noch drei Spiele der langweiligen Erstliga, und mehr Zeit für die spannendere Zweite Liga. Zwei weitere Erstligaspiele könnten dann, wie bisher, in Kurzberichten in der Tagesschau verklappt werden. Werbepausen wären zu unterlassen, und der Kaufpreis um die verminderten Einnahmen zu senken.

Ferner ist aus den Verträgen die Verpflichtung zur Übernahme der Hauptsponsoren der DFL wieder zu streichen, zumal es sich dabei teilweise um kriminelle steuervermeidende Wettanbieter aus Luxemburg oder Zypern handelt.

Die ARD hätte so eine starke Verhandlungsposition. Das politische Problem ist, dass sie die gar nicht haben will. Ihre Führungskader wollen schönes Wetter mit den Fussballmafiagrössen, so wie sie einst den Sonnenschein des verblichenen Franz Beckenbauer suchten. Die Zeiten ändern sich, und in den ARD-Anstalten merken sie wieder nichts. Wie Comvcast (s.o.). Das wird dann auch für Sie und mich als TV-Haushaltsabgabenzahler*in teuer.

Was selbst die Kinder längst wissen, ist in die Mauern der Anstalten kaum vorgedrungen: das Publikum guckt sowieso lieber Frauenfussball. Das gefällt den Männern natürlich nicht wirklich. Denn das läuft darauf hinaus, dass sie Macht in der Aufmerksamkeitsökonomie verlieren. Aufgefüllt werden könnte ein von mir angedachter ARD-Fussball-Brennpunkt ferner mit der Welt da draussen, von der der rechtsextremistische Europäer/Deutsche lieber gar nichts wissen will. Und die Medien ziehen bereits vor, was sie denken, was der Sack will.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Manni Breuckmann

    Zumindest nachvollziehbare Überlegungen. Bis zu dem Punkt, wo du allen Ernstes behauptest, „das Publikum“ wolle lieber Frauenfussball. Was war los? Schlechter Stoff? Oder liess die Wirkung abrupt nach? Oder setzte abrupt ein? Wir werden es wahrscheinlich nie erfahren.

    • Martin Böttger

      Die mistgesehene TV-Sendung des Jahres 2022 war das EM-Endspiel der Frauen. Meistgesehene Sportsendung war ein Frauenländerspiel (gegen Kolumbien) zur Mittagszeit – hier immerhin konnten die Männer mit einem Spiel zur Hauptsendezeit am Abend gleichziehen. Ehrenvolles Unentschieden zu ungleichen Bedingungen (wie im wahren Leben) 😉
      https://www.dwdl.de/magazin/96079/tvhits_2023_die_meistgesehenen_sendungen_des_jahres/

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