Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

Wie bei Franz Kafka

Ein Protokoll aus dem Rhein-Siegkreis (RSK), einem der letzten Kreise in der Warteschlage der Impfungen.  Bonn ist NRW-Landesmeister im Impfen – unbestritten Nummer 1.  Vorausgeschickt: Der Autor gehört einer Gruppe Vorerkrankter an und hat sich rechtzeitig alle notwendigen Bescheinigungen darüber beim Hausarzt besorgt. Der Hausarzt ist in Bonn ansässig und wird – genervt von der Impfbürokratie und Dokumentationspflicht – vorerst nicht in seiner Praxis impfen. Ich versuche seit anfang März, einen Impftermin zu bekommen. Die Anmeldung beim NRW-Impfportal der kassenärztlichen Vereinigung im Internet ist für mich von Anfang an unbrauchbar. Denn sie leitet Nutzer*innen grundsätzlich ausschließlich aufgrund des Geburtsdatums weiter. Die Möglichkeit, anzukreuzen, dass man zu einer vulnerablen Gruppe gehört oder zu bestimmten Berufsgruppen, die geschützt werden sollen, ist nicht vorgesehen. “Du bist noch nicht dran” war die Antwort, als meine Gruppe mit Sondergenehmigung in Bonn schon längst geimpft wurde.

Besetztzeichen im Rhein-Sieg-Kreis abonniert

Am 26.3. erreiche ich nach tagelangem Klingeln und Besetztzeichen endlich einen echten Menschen in der “Hotline” 116117. Die freundliche Dame klärte mich auf, dass Termine im Rhein-Siegkreis (RSK) nur direkt vom Kreis vergeben würden. “Vom Gesundheitsamt?” frage ich. “Nein, direkt von der Kreisverwaltung”. Für heute ist es zu spät, kurz nach 15.00. Gesegnete Beamtenruhe – naja sind ja nur Angestellte. Trotz Pandemie läuft ein Tonband “Sie rufen außerhalb unserer Bürozeiten an, diese sind Montag bis Donnerstag von 8.00-17.00, Freitags von 8.00-15.00”. Toll, finde ich, aber haben wir nicht eine Pandemie? Impfen sie nicht in Köln, Bonn, Berlin  nahezu rund um die Uhr? Weiter lese ich die Hinweise auf der Homepage. Da steht, man soll seine Unterlagen an die Mailadresse <coronavirus@rhein-sieg-kreis.de> senden. Ich mache das, Datum der Mail: Montag der 29.3. um 15.59 Uhr. Auf eine Eingangsbestätigung, wie man sie bei jedem einfachen Internetshop bekommt, wARTE ich bis heute vergebens.

Aussitzen statt entscheiden  im RSK

Ich überlege kurz, ob ich beide Schreiben per Einschreiben mit Fristsetzung nachreichen soll und verschiebe es – vielleicht ist man ja freundlich. Denn eine gute Freundin, die ebenfalls gute Gründe hat, über Atteste verfügt, wurde vom Gesundheitsamt einfach nicht entschieden. Sie ließen ihren Antrag liegen und entschieden – nichts. Ein Unding, denn nach der CoronaVO haben Betroffene ein Recht auf Billigkeitsentscheidung und können diese auch ggf. per Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht einklagen. Aber ich bin ja nicht auf Krawall aus. Also versuche ich bis Karfreitag gefühlt etwa 25 mal pro Tag, jemanden bei der RSK-Zentrale 02292-13-0 zu erreichen. Mit dem Erfolg, dass nach 25 mal klingeln der Satz zu hören ist: “Der Teilnehmer ist derzeit nicht erreichbar.” (Telekom)

Von “besetzt” zu “verarscht”

Am Gründonnerstag entdecke ich auf der Homepage des “Kölner Stadtanzeiger”, dass die Durchwahl zu Impfterminen 02292-1333 sei. “Diese Anschluss ist uns nicht bekannt” ist das Ergebnis. Tage später, am Dienstag nach Ostern stellt sich heraus, dass der Stadtanzeiger eine weitere 33 vergessen hat. “Fünfmal die Drei” sagt mir der erstmalig erreichbare Mitarbeiter der RSK-Zentrale, – nachdem ich ihn das 2. Mal erreicht habe. Beim ersten Mal stellte er mich an besagte Nebenstelle um und ein sehr salbungsvoll sprechendes Tonband (Psychologen haben wohl zur Sprechweise geraten) teilt mir mit, dass alle Anschlüsse belegt seien und die Homepage (die ich inzwischen auswendig kenne) viele wichtige Fragen, die ich wahrscheinlich habe, beantworten könne. Nicht einmal das nächste Känguruh, das für mich bereit stünde, wurde mir angekündigt. Toll. Dabei wollte ich nur wissen, wie denn die inzwischen im Radio gemeldeten Impfungen für Ü60-jährige – zu denen gehöre ich auch ohne Attest Juhu – mit Astrazeneca praktisch verschenkt werden. Diese Nummer rufe ich nun täglich etwa 15 mal ohne Ergebnis an. Noch immer heisst es “rufen Sie bitte zu einem späteren Zeitpunkt an.” Es ermüdet.

Landrat Schurke (Name geändert) legt still

Vor Ostern. Meine homöopathische Arztpraxis in Bornheim (keine Impfgegnerin) wusste von nix, auch nicht, wer die Impfärzte sind. Den RSK erreiche ich nicht mehr. 116117 kann auch nichts raten.  (Ob ich mal 11-88-0 versuchen soll, hier werden Sie schließlich geholfen?) Alles nützt nix oder führt in die Warteschleife.  Am Karfreitag lese ich im Stadtanzeiger, dass RSK-Landrat Schurke (CDU, Name in seinem Interesse geändert) anders als Köln und Bonn gar keine Ü 60 annimmt, sondern  alle Astrazeneca-Dosen an die Hausärzte weitergegeben hat. Während sich mein Vermieter (Ü 60, Bonn) am Freitag in Bonn locker am Telefon einen Termin für sich und seine Frau besorgte und auch am Sonntag morgen geimpft wurde, waren die RSK-Telefone auf Wochenendpause und ausgeschaltet. Im Stadtanzeiger steht auch, dass Landrat Schurke sagt, man solle auf keinen Fall versuchen, im Impfzentrum in Sankt Augustin Termine zu bekommen oder Impfdosen “abzustauben” – ersteres sei sowieso überlastet, (man impfe gerade die 80-jährigen, mit denen Bonn seit einer Woche fertig ist)  und letztere würden schon von Polizist*innen und Feuerwehrleuten aufgebraucht. Jo, der Mann sorgt für seine Sicherheitskräfte, das motiviert mich einfachen Bürger richtig – ich fühle mich polizeilich völlig sicher und gut beschützt! Ob das das Virus abschreckt?

Geheimpraxen und Impfmassen

Ostern. So muss sich Sebatian Vettel fühlen, dachte ich, wenn sein Ferrari in der 2. Reihe am Start liegen bleibt, während das gesamte Feld an ihm vorüber in die erste Runde startet. Schön, dachte ich mir, jetzt nutze ich mal meinen Vernetzungsvorteil und schrieb an meinen örtlichen Landtagsabgeordneten Horst Becker. Als ehemaliger grüner Fraktionsvorsitzender bin ich natürlich privilegiert und habe nicht nur sein Regionalbüro, sondern seine private Email – die hat nicht jede*r. So konnte ich am Dienstag morgen nach Ostern von Horst erfahren, dass es – sage und schreibe – eine Art Geheimliste von etwa 25 Arztpraxen verteilt über den RSK gibt, die diese Astrazeneca-Impfdosen verimpfen durften und dürfen. Wer sich nun Massenimpfungen vorstellt, muss allerdings feststellen, dass es etwa 20 !!! Impfdosen pro Woche sein werden.  Ich kenne zunächst keine Praxis, stelle aber nach längerem “Startpagen” (die datensichere Alternative zum Googlen) fest, dass eine Ärztin aus einer Praxis meine befreundete Nachbarin ist.  Ich maile ihr mal am Ostermittwoch – schaumermal, bisher keine Antwort.

Wir können auch anders

Also wenn ich ehrlich bin, – eine offizielle, zuständige und verantwortliche Stelle habe ich trotz allen Aktionismus noch nicht erreicht. Ich denke, ich bin jetzt auf Rechtsstaat und Krawall gebürstet. Heute eingeschriebener Brief per Einschreiben und Rückschein ans Gesundheitsamt und an den Landrat Schurke. Fristsetzung drei Tage, nach Fristverstreich Säumnisklage vor dem Kölner Verwaltungsgericht. Was mich dabei besonders ärgert: Ich bin ja nun privilegiert, juristisch kundig, politisch erfahren und gut vernetzt. Was aber macht die Rentnerin in meinem Alter irgendwo im Rhein-Sieg-Kreis ohne meine Privilegien, ohne meine Rechtskenntnisse, und ohne meine Lust auf Krawall mit der Obrigkeit?  Corona ist nicht sozial, nein, es verschärft die Krise und das ist das deprimierende an der Entwicklung.  Ich werde nötigenfalls klagen. Eine andere Sprache verstehen sie wohl nicht.

Jetzt kommen wir zu etwas, das ich als Kind beim Mickymaus-Heft immer gehasst habe: “Fortsetzung folgt.”

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Helmut Luda

    Ach Herr Appel,
    das unglaubliche Elend, was Sie so süffisant beschreiben, kann ich (63, Gruppe “hohe Priorität” gem. §3 Abs. 1 Nr.3 Buchstabe b Corona-ImpfV) genau so bestätigen und ich hatte, sauer wie ich mittlerweile geworden war, dies Ostern der Redaktion des Rhein-Sieg-Anzeigers geschildert. Den Bericht werden Sie am 7. April vermutlich gelesen haben. Um den Wahrheitsgehalt meiner Informationen zu unterstreichen und die Redaktion entsprechend abzusichern, hatte ich in Nachgang zu dem ausführlichen Telefonat diverse Links, Screenshots zwecks Verifikation gemailt. Denn eigentlich sind unsere Erlebnisse unfassbar, die Ausgeburt von eklatantem Verwaltungsversagen!

    Meine Email an die Redaktion endete mit den Worten:
    „Ein Zwischenfazit steht sodann im Raum:
    Offensichtlich sind die Kreisverwaltung und ihre Leitung durch das Corona-Management vollständig überfordert und es stellt sich die Frage, ob wie bei einem strauchelnden Unternehmen ein externer Krisenmanager das Ruder (zumindest) temporär in die Hand nehmen soll, quasi wie ein Insolvenzverwalter, um zu retten, was zu retten ist: Die Gesundheit und Leben der Bürger nämlich. Und das ist wahrlich kein geringes Gut!“

    Und dies muss ich aufgrund der heutigen Kenntnisse noch ergänzen:

    Wenn die Stabsstelle des RSK oder auch die Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit auf persönliche Weisung des Landrates, Sie nennen ihn „Schurke (CDU, Name in seinem Interesse geändert)“ 200, an aus seiner Sicht renitente Emailer, Impftermine vergibt, wirkt das auf mich wie die das höfische Gepränge eines Sonnenkönigs, der nach Belieben, also willkürlich, sein Volk behandelt. Die jetzt nachgeschobene Begründung, dies sei zur Unterstützung des ohnehin unterdimensionierten Impfzentrums geschehen, ist ohnehin unglaubwürdig und vermutlich rechtsmissbräuchlich.

    Das ist nicht nur bezogen auf die Menschen hier im RSK und auch einem Rechtsstaat in einer eklatanten Krise unwürdig, sondern verlangt mittlerweile geradezu nach dem Einsatz extern kontrollierenden Instrumentariums, wie die Prüfung von Dienstaufsichtsbeschwerde, Anzeige oder vergleichbare Aktivitäten.

    Ihre Frage „Was aber macht die Rentnerin in meinem Alter irgendwo im Rhein-Sieg-Kreis ohne meine Privilegien, ohne meine Rechtskenntnisse, und ohne meine Lust auf Krawall mit der Obrigkeit?“ treibt auch mich um und macht mittlerweile nicht nur mich regelrecht zornig!

    Und jetzt frage ich Sie als gut vernetzter, einflussreicher, erfahrener Ex-MdL in zentralen Ämtern: Wie mag es weitergehen im desolaten Corona-Management des RSK? Wie kommen wir da alle raus?

    Klar, dass sich die Opposition im Kreistag auf dieses Versagens-Thema wirft, es ist ja auch ihre Aufgabe. Dennoch – es geht hier nicht Parteiengezänk, sondern um unsere Gesundheit und Leben!

    Warum nutzen Sie Herr Appel nicht Ihren Einfluss, um im Kreistag auch von Ihrer Partei her Klar-Schiff zu machen. Sie ist doch in Verantwortung! Denn Schönreden, Aussitzen und Wegducken war gestern und ist nicht die Zukunft.

    Helmut Luda, Windeck

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