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Gestörtes Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie?

Der Bund der Steuerzahler, seit Jahrzehnten bekannt für seine “Schuldenuhr”, mit der er zu suggerieren versucht, die einzelnen Bürger unseres Landes hätten individuelle Schulden, weil es seit über 50 Jahren staatliche Haushaltsdefizite gibt, hat sich in seinem neuesten Bericht einen eklatanten Asrutscher geleistet. Über die Verschwendungen des Staates, die der BDS regelmäßig anprangert, gehen die Meinungen auseinander. Zwar deckt die Lobbyorganisation, die politisch Unternehmerverbänden und der FDP nahesteht, immer wieder wirkliche Skandale, Baumängel, Steuerverschwendungen auf, wie etwa den Bau einer Fernstaßenunterführung, die vor einer Mauer endet. Ebenso häufig aber diffamiert er auch bar jeder Sachkenntnis Maßnahmen wie etwa die geförderte “alternative Kaffeefahrt” einer Wuppertaler Entwicklungsinitiative, die Bürgern damit für die Arbeitsbedingungen von Lohnsklaven im Kaffeeanbeu sensibilisiert hat und für die Einführung fair gehandelten Kaffees warb – inzwischen sind diesem Beispiel viele öffentliche Arbeitgeber und Handelsketten wie Rewe und Edeka gefolgt.

In seinem neuesten Bericht kritisiert der Verband das Wahlergebnis der Bundestagswahl, aufgrund der der Bundestag durch Ausgleichsmandate auf 709 Abgeordnete angewachsen ist. Damit komme auf die Bürger eine “Kostenlawine” zu und stellt die Behauptung auf, das Wahlergebnis koste bereits im ersten Jahr mehr als 75 Millionen Euro mehr als bisher. Damit begibt sich der BDS aufs Glatteis des platten Populismus und primitiver Parlamentarismusschelte. Die Wahl frei und gleich gewählter Abgeordneter als unnötigen Kostenfaktor darzustellen, bewegt sich gefährlich nah am Niveau rechter und rechtsextremer Parlamentarismuskritik in der Weimarer Republik. In den zwanziger und frühen dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts hatten vor allem die Parteien der “Harzburger Front” des Verlegers Hugenberg den Reichstag zur überflüssigen “Quasselbude” herabgewürdigt. Der Steuerzahlerbund muss sich nun die Frage gefallen lassen, ob er mit seiner Kritik nicht jedes Augenmaß verloren hat und ein gestörtes Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie an den Tag legt.

Dieser Beitrag erscheint auch bei rheinische-allgemeine.de

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Martin Böttger

    Im Jargon der einst “dienstältesten” WG Bonns (1972-1998) mit Wohnsitz in Beuel nannten wir diesen Verein wahrheitsliebend “Bund zur Vermeidung des Steuernzahlens”.
    Wir hatten auch für andere Vereine treffende Namen, die nenne ich lieber nur auf Anfrage 😉

  2. Martin OTTENSMANN

    Die Ausgeichsmandate sind bei dieser Wahl zum großen Teil bei uns in Bayern entstanden.
    Auch deshalb weil die CSU die Wahlkreise bei der letzten Reform so zugeschnitten hat, dass sie in der Regel jeden holen kann. Zudem kommt in München das gute Wahlergebnis der Grünen, die beim Zweitstimmenergebnis sogar vor der SPD liegt. Bei den Erststimmen funktionierte die Wahl der Direktkandidaten der CSU durch FDP Wähler besser. Das lag auch daran, dass viele Union-Wähler Merkel aber nicht die CSU wählen wollten.
    Der Bund der Steuervermeider kann Demokratie nicht so einfach als Geldverschwendung bezeichnen. Er verlässt damit den Boden unseres Grundgesetzes.

    Eine Reduzierung der Ausgleichsmandate ist in unserem Vielparteien-System aus meiner Sicht nur mit der Reduzierung der Direktmandate möglich, wenn das Verhältniswahlrecht weiter führend bleiben soll. Denkbar wäre eine Vergrößerung der Wahlkreise und die Reduzierung des Anteils auf 40% der Mandate denkbar. Alle anderen Modelle die nur ein bischen ausgleichen wollen sprengen unser Wahlrecht und benachteiligen die kleineren Parteien.

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