Hier wird Ihnen schon wieder schlecht, aber nicht wg. Essen & Trinken
Lügenpresse ohne Anführungsstriche. Dass in Grossbritannien alle Schamgrenzen gefallen waren, als Rupert Murdoch dort die Medienmacht übernahm und die Premierminister persönlich aussuchte – das wusste ich schon. Dass aber die Druckerzeugnisse der deutschen Verlegermilliardärsfamilien die Lügen der kriminellen Murdochblätter einfach abschreiben, das erfahre ich nur, wenn ich mal krank bin, im Wartezimmer sitze und Spiegel, Stern und Stadtanzeiger gerade besetzt sind. Im Alltag fasse ich diesen Dreck nicht mit spitzen Fingern an. Und weiss darum so wenig darüber.
Anders Mats Schönauer/uebermedien, der das anscheinend beruflich macht. Sein Text ist (ca. eine Woche) in einer Paywall eingemauert, aber der sichtbare Teil genügt schon zum Schlechtwerden. Ich hätte da eine Frage an kritische Jurist*inn*en: können sich die Fabriken solchen Schunds allen Ernstes auf die Pressefreiheit berufen? Mitleid mit der Familie Windsor liegt mir eigentlich fern – obwohl mit der Chefin (93), die jüngst diesem gewalttätigen Saufgesicht Johnson in ihrem hohen Alter noch zu Diensten sein musste, empfand ich es durchaus. Andererseits sind die Windsors selbst im Waffenhandel tätig. Und in sie einzuheiraten, dazu hat Miss Markle hoffentlich niemand gezwungen. Ihr Herz etwa? Nee, das kann mir keine*r weismachen.
Eine andere ernsthafte Frage wirft dieses Geschehen auf: was kann Anbietern, die sowas auf den Markt bringen, überhaupt guten Gewissens abgekauft werden? Informationen, Nachrichten, Aufklärung, “Wahrheiten” können es schon mal nicht sein.
Stuttgart
Die Bevölkerung der banden-württembergischen Landeshauptstadt quält sich schon seit einigen Jahren mit diesen Fragen. Ein kleines “gallisches Dorf”, die Kontext-Wochenzeitung versucht sie mit den notdürftigsten Informationsgütern zu versorgen, die ihr von den Eigentümern der Stuttgarter Lokalpresse (und Eigentümern der Süddeutschen Zeitung) vorenthalten werden. Wenn Sie dann in einem Haus leben, das Ihnen gar gehört, das durch die aktuellen Tunnelbohrungen unter der Stuttgarter Innenstadt zerstört wird, was meinen Sie, würde dann mit Ihnen geschehen? Würden Sie weiter brav Ihrem Tagwerk nachgehen, in Vertrauen auf unsere “Marktwirtschaft” und “Demokratie” alle paar Jahr Ihr Kreuz machen, und auf die gewählten Politiker*innen vertrauen? Oder würden Sie paranoid und verrückt, weil Sie erkennen, dass die Normalen das Problem sind? Keine leichte Entscheidung.
Update abends: zwei weitere Beispiele, nicht für Lügenpresse, aber für staatsbrave Lückenpresse.
Die Tagesschau bebildert, als wäre es auftragsgemäss, die “Clankriminalität”-Agenda, die der AfD-nahe Springerverlag der CDU aufgetragen hat, und die nun brav vom Bundesinnenminister, der endlich zurücktreten muss, abgearbeitet wird. Mit Rechtsstaat hat weder diese Politik noch diese Berichterstattung was zu tun. Und auch nicht mit informierendem Journalismus: Tagesschaulieferant Uwe Wichert (Radio Bremen) zeigt den Rechtsanwalt eines Beschuldigten zwar im Bild (ab Minute 8:30), gibt ihm aber keine Chance zur Stellungnahme.
Etwas besser machte es die Lokalzeit Bonn, die gestern, gefühlt erstmals, auch Kritik am Fluglärm des Flugplatzes Hangelar Gelegenheit zur Stellungnahme gibt. In der Regel liebt die TV-Lokalzeit den Flugplatz heiss und innig, weil die Mitarbeiter*innen mitfliegen und immer wieder schöne Luftbilder senden dürfen. Den Lärm hören sie ja in ihren Kopfhörern nicht, den bekommen wir hier unten. Danke auch. Ach, und dann haben sie gestern sicherlich “vergessen” zu erwähnen, dass Studiogast Helmut Weber nicht nur Vorsitzender des “Lärmschutzbeirates” ist (“alles nur subjektiv”), sondern, ganz nebenbei, Kreistagsabgeordneter für die CDU. Tja, die Sendezeit ist ja sooo knapp ….
Noch besser als die Bonner Lokalzeit machte es das 3sat-Magazin Nano. Hier war zu erfahren, dass die offiziell erfasste Lärmbelastung (“Lärmkarten”) nur gerechnete Werte aufweist. Eigene Messungen betroffener Bürger*innen ergeben weit schlimmere Daten. 50.000 Lärmtote durch die einhergehende Herz-Kreislauf-Belastung. Ist das wichtig?
Die ganzen Yellowpressprodukte bestehen doch nur aus Berichten, die entweder ganz alltägliche Dinge als Sensation verkaufen wollen wie Geburten, Hochzeiten, Scheidungen, Krankheiten oder Sterbefälle. Oder wenn es nicht viel desgleichen gibt, müssen entsprechende, möglichst spektakuläre Dinge erfunden werden. Da es allein im deutschsprachigen Raum dutzende derartige Produkte gibt, die zum größten Teil jede Woche erscheinen, muss, vor allem im Sommer, wenn auch Prominente überwiegend Urlaub machen, vieles in den Redaktionsstuben erfunden werden. Da fast jedes “unterhaltende Frauenmagazin” gerne in jeder Ausgabe etwas über den Hochadel bringen will, auch wenn nicht wirklich etwas geschehen ist, wird auf Teufel raus “spekuliert” und diese “Spekulation” als Wahrheit verkauft. Das gleiche Schicksal haben in Deutschland Helene Fischer und Florian Silbereisen. Auch nach ihrer Trennung sind sie sehr oft auf den Titelseiten dieser Blätter zu finden. Meistens sind die Geschichten dazu völlig belanglos und ohne Neuigkeitswert.
Ja, so ist es wohl- Fällt das noch unter Journalismus? Ist das nicht eher Dichtung?
Ja, eher hat es etwas romanhaftes. Dichtung wäre doch etwas zu sehr euphemistisch. Früher sagte man dazu Schund- oder Groschenroman. Allerdings verkaufen sich erfundene Geschichten über erfundene Menschen nicht so gut wie erfundene Geschichten über reale Menschen aus Fleisch und Blut. Das Hauptproblem ist, dass Subjekt und Objekt unterschiedliche Interessen haben. Das Subjekt, die Zeitschriften, will Geschichten aus dem Privatleben bringen, das Objekt, die Prominenten, will, dass über seine Arbeit sprich über seinen neuesten Film, Fernsehserie, Buch, CD usw. berichtet wird, was wiederum das Subjekt nur dann machen möchte, wenn es dies mit dem Privatleben des Prominenten verbinden kann. Z.B. eine ausgedehnte Tournee führt zu Scheidungsgerüchten oder ein Prominenter lernt bei Dreharbeiten “die Liebe seines Lebens” kennen. Demgegenüber wollen die meisten Prominenten ihr Privatleben möglichst vor der Öffentlichkeit verbergen vor allem natürlich, wenn es etwas Negatives zu berichten gibt.