EU-Europa, USA, eingesperrte Familien, Sport, wie wir ihn kannten …
“Merkel wäscht ihre Hände am Ufer des Flusses, in dem ihre Gegner und so weiter.” meinte Küppi heute in seiner taz-Kolumne. Zwar werden die meisten, die sie heute zum Teufel jagen, sich noch nach ihr zurücksehnen. Aber ein politisches Denkmal sich selbst zu setzen wird ihr in ihrer langen Regierungsära nicht gelingen. Sie bewährt sich zwar als “Trümmerfrau”, aber der Vermehrung der Trümmer ist sie nicht gewachsen.
Die Coronakrise wird in die Geschichte eingehen, als erste, auf die die 2009 erneuerte Pandemiedefinition der WHO global radikal angewandt wurde, mit Folgen weit über das Virus selbst hinaus. Z.B. wird es später mal heissen, dass mit ihr der Zerfall der EU erstmals manifest wurde, egal, wie der aktuelle Gipfel ausgeht. Die Konfliktlagen, die dort verhandelt werden, sind schon so tief verwurzelt, dass sie niemand mehr heilen kann, selbst wenn, das zeigt sich jetzt, Deutschland und Frankreich ausnahmsweise noch mal an einem Strang ziehen. Es gibt den Politiker*innen*typus nicht mehr, die*der an solchen Krisen wächst, der*die selbst steuern kann, statt getrieben zu werden, von den Kapitalinteressen und Brutussen im eigenen Stall.
Heute morgen war ich versucht, unseren Aussenminister mit Luxemburg tauschen zu wollen. Aber das ist auch nur eine Oberflächenwahrnehmung. Die Stärken starker Aussenminister müssten im nichtöffentlichen Bereich liegen, im Umgang mit seinen Kolleg*inn*en, allgemeiner im Umgang mit anderen, andersdenkenden Menschen. Erst auf dieser Stärke aufbauend könnte und müsste sich eine Fähigkeit zur öffentlichen Diskurssteuerung, zum eigen Agendasetting, zu politischer Gestaltungskraft ergeben. An letzterer mangelt es Aussenministern von Zwergstaaten. Jean Asselborn kann zumindest Öffentlichkeitsarbeit, sein Staat ist halt ein bisschen klein.
Wenn es noch Strateg*inn*en in der europäischen Politik gibt, müssen sie schon seit einigen Jahren, spätestens seit der vom deutschen Kapital vom Zaun gebrochenen Griechenlandkrise über neue Kerne von Alternativen zur zerbrechenden EU nachdenken. In Deutschland jedoch schaffen sie es noch nicht einmal zu neuen Koalitionen in seiner Innenpolitik. Das Diskursniveau ist unten angekommen, bzw. der Niveauschwund der Politikkader ist jetzt ganz oben zu sehen.
Kleine Abschweifung: in der Wirecard-Affäre erweist sich die Bundesregierung bereits unfähig zu eigenem Agendasetting. Das betreiben klandestine Geheimdienststrukturen und ihnen nahestehende Medien, betreiben auf diese Weise Geopolitik, und nehmen sie den dafür gewählten Politiker*innen aus der Hand. Olaf Scholz kann “es” halt auch nicht, und Merkels Kanzleramt kann diese Löcher nicht mehr stopfen.

StARTEt Trump den nächsten US-Bürgerkrieg?

Portland gilt in den USA als sowas ähnliches, wie in Hamburg das Schanzenviertel (Grüne Mehrheit, CDU unter 5%), andere vergleichen es mit Freiburg (wo der Grüne OB schon abgewählt ist). Da lag es für Donald Trump nahe, hier die erste Übung für den US-Bürgerkrieg abzuhalten, den Teile der hinter ihm stehenden Kräfte anpeilen, sollte er die Wahl Anfang November nicht gewinnen. Die Spaltung der US-Gesellschaft ist so vertieft und vollzogen, dass beide Seiten nun aufeinandergehetzt werden können. “Gewinnen” werden einen solchen Kampf die mit den stärkeren Waffen. Das erhöht den Reiz seiner solchen Strategie für die Trump-Fraktion.
Das könnte sogar ein Vorbild für die Rechten in der deutschen Polizei sein. Schweren Imageproblemen ausgesetzt (“NSU 2.0”) versucht sie mit der Provokation städtischer Randalen (Stuttgart, Frankfurt) das Thema zu wechseln, in der Hoffnung auf mehr politischen und Ressourcen-Rückenwind. Kann klappen, muss aber nicht.
Update nachmittags: wenn der Frankfurter Polizeipräsident sagt, eine immer wiederkehrende Formulierung, die Festgenommenen seien alle “polizeibekannt”, dann heisst das, dass mindestens die schlaueren Teile seiner Einsatzleitung bestens wissen, welche Knöpfe sie bei ihren nützlichen Idioten drücken müssen, um die gewünschte Eskalation zu erhalten. Begünstigender als der angebliche Migrationshintergrund, sind bei den Betreffenden, in der Reihenfolge der Relevanz, das männliche Geschlecht, der mangelhafte Bildungsstand und das geringe Lebensalter.

Das Virus spitzt alle Krisen zu

Die Verschiebung gesellschaftlicher Spielregeln durch das Virus leistet o.g. Polizeistrategie Vorschub, bietet geeignete Anlässe zu Machtdemonstrationen. Und verschärft bestehende Katastrophen.
Akut ist, dass Menschen, die sich zu Familien oder familienähnlichen Gemeinschaften verbunden haben, vieler Aussenkontakte und Alltagsnetzwerke beraubt und aufeinander zurückgeworfen wurden. Bestehende innere Konflikte, die früher aus- und durchzuhalten waren, sind es jetzt immer weniger. Je beengter das Aufeinanderhocken in zu teuren und zu kleinen Wohnungen, umso mehr.
Dort bleiben auch die Zellen für das Virus. Seine Schwerpunkte verlagern sich jetzt in Länder, in denen die Wohnverhältnisse weit katastrophaler als in Mitteleuropa sind. In unseren Wohlstandsbreiten hat es vor allem die in enge Heime abgeschobenen und vereinsamten Alten dahingerafft (und ebenso viele ihrer ausgebeuteten Pfleger*innen). Aus proletarisierten Fabriken (Landwirtschaft, Schlachterei) will es einfach nicht verschwinden. Woanders, z.B. Südafrika hilft auch der schärfste “Lockdown” überhaupt nicht. Der Mensch ist kein Käfigtier. Er lebt vom Kontakt mit seien Artgenoss*inn*en.
Wo er für den Kapitalismus nicht ausreichend Nachfrage für Waren- und Dienstleistungsproduktion darstellt, ist er nur leider ziemlich überflüssig. In Sozialstaaten ist er ein Kostenfaktor. Wer den Sozialstaat bekämpft, wie z.B. Donald Trump oder Jair Bolsonaro (auf deutsche Namen verzichte ich hier mal), der*die ist unmittelbarer Bündnispartner des Coronavirus: sie entsorgen die “Überflüssigen”, die Unproduktiven. Medikamente, Impfstoffe etc. gibts erstmal für die, die sie ökonomisch nachfragen können. Gäbe es die ökonomischer Nachfrager nicht, gäbe es gar keinen ökonomischen Grund sie zu erforschen und zu produzieren.

Fußball wird zerstört wie die EU

Das Fußballbusiness wird sich entlang ähnlicher Linien aufspalten: in einen Oligarchenzirkus einerseits, der dort eigene ökonomische Kreisläufe betreibt, und sich dank Coronavirus das Publikum dazu selbst aussucht.
Ausserhalb dieses Zirkus wird es dann vielleicht einen anarchischen, potenziell durch den männlichen Testosteronüberhang auch gewalttätigen, ungeregelten Teil geben, in dem mit allgemeiner gesellschaftlicher Zustimmung die neuesten Polizei- und Überwachungstechnologien ausprobiert werden.
Vielleicht entstehen auch noch bürgerschaftlich organisierte Zonen zwischen diesen beiden Gegensätzen. Das könnte die sein, in der der DFB weiter existiert (die DFL, bzw. ihre reichsten oligarchischen Teile wären ganz oben mit dabei).
Zum Weiterlesen
Hans-Jürgen Urban, Brückenbauer zwischen Alt und Neu im IG Metall-Hauptvorstand, macht sich Gedanken zur “Transformation als Bewährungsprobe”/sozialismus.de. Die öffentliche Wahrnehmung von inhaltlichen Positionen dieser Gewerkschaft ist, gelinde formuliert, ausbaufähig. In meiner Partei kenne ich niemanden mehr, der*die sich noch dafür interessiert, ein schwerer Fehler.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net