Der designierte US-Präsident will viele politische Hinterlassenschaften von Donald Trump sofort ändern. Aber nicht alles wird zurückgedreht.
Noch in seinen letzten 48 Stunden als US-Präsident versuchte Donald Trump, in die Amtszeit seines ab Mittwoch vereidigten Nachfolgers Joe Biden hineinzuregieren. Am Montag verfügte Trump die Aufhebung der seit März letzten Jahres geltenden coronabedingten Einreiseverbote für Ausländer aus den meisten europäischen Staaten und Brasilien zum 26. Januar.

Umgehend erklärte die künftige Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, dass diese Maßnahme Trumps nicht umgesetzt werde. Wegen der dramatischen Pandemielage in den USA sei eher noch mit einer Verschärfung der Einreisebeschränkungen zu rechnen.

Am Dienstag verhängte die Trump-Administration dann erste Sanktionen gegen das deutsch-russische Pipeline-Projekt Nord Stream 2. Damit setzte der scheidende Präsident lediglich entsprechende Gesetzesbeschlüsse um, die der Kongress bereits im Jahr 2019 mit großer, parteiübergreifender Mehrheit gefasst hatte. Deshalb erfolgte kein Widerspruch aus dem Biden-Lager.

Frühere Äußerungen des neuen Präsidenten und seines designierten Außenministers Anthony Blinken lassen sogar erwarten, dass die neue Administration noch entschiedener gegen das Pipelineprojekt vorgehen will. Das könnte sogar schon sehr bald zu einem Konflikt mit der Regierung Angela Merkels führen, die bislang noch entschlossen an dem Projekt festhält.
Russland künftig „Hauptgegner“
Darüber hinaus hatte Biden im Wahlkampf Russland sogar als „Hauptgegner“ der USA bezeichnet, während Trump diese Rolle stets China zugewiesen hatte. So unterschiedlich die Reaktionen Bidens auf die letzten außenpolitischen Maßnahmen seines Vorgängers, so unterschiedlich bis – vermeintlich – widersprüchlich wird sich die neue US-Administration auch künftig auf den diversen Feldern der internationalen Beziehungen und Politik verhalten.

Einmal abgesehen davon, dass Biden, Blinken und Vizepräsidentin Kamala Harris im Ton sehr viel sachlicher, freundlicher und verbindlicher auftreten als ihre Vorgänger: Die Regierung Bidens wird die Politik Trumps nur an einigen Punkten teilweise oder gar vollständig korrigieren, an anderer Stelle aber fortsetzen oder sogar noch verschärfen. Und dies wird sie entsprechend ihrer Definition der nationalen Eigeninteressen der USA tun.

Wobei noch offen ist, wie das Bekenntnis von Biden, Blinken und Co zu „Multilaterlismus“ und „internationaler Kooperation“ sich verträgt mit ihrem gleichzeitig sehr deutlich formulierten Anspruch auf eine „globale Führungsrolle der USA“.

Am klarsten ist die Abkehr von Trumps Politik beim Klimaschutz und der Bekämpfung der Coronapandemie. Als seine erste außenpolitische Amtshandlung will Biden schon am Mittwoch die Rückkehr der USA in das Pariser Klimaabkommen vollziehen.
Kursänderung: Klima, Corona, Iran
Zudem hat er das Ziel verkündet, dass die USA – wie auch andere Industriestaaten – ihren Ausstoß von Kohlendioxid bis zum Jahr 2050 auf null bringen wollen. Auch die von Trump völlig kastrierte nationale Umweltschutzbehörde EPA will Biden finanziell und personell sowie mit der Berufung eines engagierten Umweltschützers zum Direktor der Behörde wieder deutlich stärken.

Außerdem will der neue Präsident die Genehmigung für die umstrittene Keystone-XL-Erdgaspipeline von Kanada in die USA wieder aufheben – wogegen am Montag die kanadische Regierung schon heftig protestierte.

Bereits vor seinem offiziellen Amtsantritt hatte Biden sein Team zur Bekämpfung der Coronapandemie berufen. Dieses ist damit sofort handlungsfähig. Zudem kündigte der Präsident Ausgaben von zunächst 1,9 Billionen US-Dollar zur Bewältigung dieser von Trump sträflich vernachlässigten Herausforderung an.

Diese wird auf absehbare Zeit die höchste Priorität für Bidens Administration haben. Ihr Erfolg oder Misserfolg dürfte wesentlich darüber entscheiden, ob die Demokraten bei den Zwischenwahlen im November 2022 ihre derzeitige Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses halten können.
Komplizierter Konflikt mit Teheran
Von der von Biden angekündigten Rückkehr in die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und den dadurch wieder verbesserten Möglichkeiten zur Kooperation mit anderen Ländern bei der Bewältigung von Corona und künftigen Pandemien können die USA nur profitieren.

Als dritte Korrektur der Politik von Trump hat Biden eine Rückkehr zum Nuklearabkommen mit Iran angekündigt. Allerdings nur unter der Bedingung, dass Teheran die seit dem Austritt der USA im Jahr 2018 vollzogenen schrittweisen Vertragsverletzungen zunächst rückgängig macht.

Teheran verlangt hingegen, dass die USA den ersten Schritt tun und die unter Trump verhängten und drastisch verschärften Sanktionen wieder aufheben. Kompliziert wird der Konflikt durch Forderungen, das Nuklearabkommen um Beschränkungen der konventionellen Raketenrüstung Irans und andere Themen zu erweitern.

Die Zeit für eine Einigung und Rettung des Abkommens drängt. Durch Trumps Politik des „massiven Drucks“ auf Teheran wurden die Hardliner im Iran gestärkt. Mit ihrer bei den letzten Parlamentswahlen errungenen Mehrheit haben sie bereits weitere Verstöße gegen das Abkommen durchgesetzt. Und bei den Präsidentschaftswahlen am 18. Juni droht ebenfalls der Sieg eines Hardliners.
Kursverschärfung: Nato, China, Militär
An der von Trump als „obsolet“ abgewerteten Nato wird die Biden-Administration ohne Einschränkung festhalten. Denn diese Institution ist unbeschadet aller internen Kontroversen für die USA nach wie vor das wichtigste Instrument zur Einflussnahme in sowie teilweise Kontrolle über Europa.

Der Druck aus Washington auf die europäischen Bündnispartner, mehr finanzielle und militärische Lasten zu übernehmen, wird allerdings zunehmen. Und zwar in dem Maße, wie die USA tatsächlich eine „Hinwendung zu Asien“ vollziehen, die Ex-Präsident Barack Obama bereits vor zehn Jahren angekündigt hatte. Hier liegen allerdings noch die größten Ungewissheiten.

Die Obama-Regierung – zu der neben Biden auch bereits viele andere Mitglieder der neuen Administration gehörten – diskutierte acht Jahre lang ergebnislos über eine richtige Strategie gegenüber China. Harte, auch militärische Konfrontation durch massive Aufstockung der US-Streitkräfte im asiatischen Meer und im Pazifik oder Einbindung Chinas in internationale Regelwerke, Kooperation und Institutionen lautete die nie entschiedene Frage.

Trump kündigte als erste Amtshandlung morgen vor vier Jahren die unter Obama ausgehandelte Freihandelszone der USA mit allen wirtschaftlich relevanten Staaten Asiens außer China. Zudem betrieb Trump einen Wirtschaftskrieg gegen China, der im Ergebnis der US-Wirtschaft mehr schadete als den Chinesen.
USA verlieren schon lange an Einfluss
Wesentlich ausschlaggebend für das künftige Verhalten der USA gegenüber China wird sein, ob Bidens Administration ihren Anspruch auf eine „globale Führungsrolle“ der USA tatsächlich ernst meint, oder ob das eher eine Floskel ist. Denn angesichts der heutigen globalpolitischen Rahmenbedingungen ist dieser Anspruch unrealistisch.

Die USA befinden sich bereits seit den 1990er Jahren in einem relativen Machtabstieg. Eines von vielen Indizien hierfür ist ihre abnehmende Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen hochentwickelten kapitalistischen Industriestaaten.

Das Bruttonationalprodukt der EU ist bereits größer als das der USA. China wird die USA voraussichtlich in zwei Jahren überrunden. Auch im Bereich von Wissenschaft und Technologie hat die künftige Weltmacht China die USA bereits erreicht oder sogar überholt.

Russland ist zumindest als annähernd gleichgewichtige Atomwaffenmacht den USA noch ebenbürtig. Und in wenigen Jahren wird zu diesen stärksten vier geopolitischen Akteuren als fünfter Indien hinzukommen.
Neuer Kalter Krieg?
Sollte die Regierung Biden die multipolare Realität der Welt nicht anerkennen und tatsächlich auf der Durchsetzung einer „globalen Führungsrolle“ der USA bestehen, wäre das – wenn überhaupt – nur möglich durch den Erhalt und ständigen weiteren Ausbau der eigenen militärischen Stärke und Überlegenheit über andere.

Das würde bedeuten, dass Bidens Administration bei den atomaren und konventionellen Aufrüstungs- und Modernisierungsvorhaben bleibt, die nicht erst unter Trump, sondern bereits unter Obama beschlossen und auf den Weg gebracht wurden. Dann würde auch der Militärhaushalt, der in der Vergangenheit fast immer in weitgehendem Konsens zwischen Demokraten und Republikanern beschlossen wurde und für 2021 mit über 778 Milliarden US-Dollar eine neue Rekordhöhe erreichte, immer weiter wachsen.

Mit einem im Wesentlichen durch militärische Stärke und Überlegenheit durchgesetzten „globalen Führungsanspruch“ der USA wächst aber die Gefahr einer neuen bipolaren Kalten-Kriegskonfrontation zwischen den USA/dem Westen und China und dies mit dem Risiko der Eskalation zu einem heißen Krieg.

Hinzu kommt: ohne eine Reduktion der gigantischen Militärausgaben werden Bidens Regierung die dringend benötigten Mittel fehlen zur Reparatur der Infrastruktur und anderer drängender innenpolitischer Herausforderungen.

Über Andreas Zumach:

Andreas Zumach ist freier Journalist, Buchautor, Vortragsreferent und Moderator, Berlin. Von 1988- 2020 UNO- Korrespondent in Genf, für "die tageszeitung" (taz) in Berlin sowie für weitere Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehanstalten. Seine Beiträge sind in der Regel Übernahmen von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.