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Der Schul-Nazi

Aiwanger, der Schul-Nazi – was sagt sein Chef?

Der stv. MP von Bayern sieht keinen Grund für einen Rücktritt. Kann/muss man ihm da folgen? Und was sagt der MP von Bayern?

Als 17-jähriger (1988) war Aiwanger offensichtlich der „Schul-Nazi“ an seinem Gymnasium. Ich weiß nicht, wie es um die Schulzeit meiner werten Leser_Innen bestellt ist. Irgendwie ist die Schul-Nazi-Figur aber doch wohl in der Erinnerung von Vielen.

Es gab stets ein paar, die kamen mit Landser-Heften in die Schule, redeten davon, dass man mit mehr Härte „führen“ müsse und machten öfters mal Witze im Nazi-Jargon, die vom „GröFaZ“ oder Gas und Schornsteinen handelten. Und verbreiteten Thesen rund um: „Es war nicht alles schlecht“. Also ganz wie der „Hubsi“ Aiwanger – der Schul-Nazi par excellence.

Was kann man daraus lernen?

– Erstens: Es gab immer diesen Nazi-Bodensatz. Er war nie weg. Auch wenn er nicht so Höcke-mäßig präsent war wie heute.

– Und zweitens: In Phasen pubertärer Identitätsfindung kann die Rolle des Schul-Nazis eine Dawider-Position sein – Abgrenzung und Skandal zur Selbststabilisierung, eigentlich nicht ungewöhnlich.

– Aber ist es – drittens – auch eine Lehre, dass da kaum jemand aus meiner Generation nicht am Start war in Sachen binärer Identitätsbildung? Wenn auch mit reichlich anderen Positionen?

Pol Pot, Mao, Stalin oder – eine Nummer kleiner – RAF-Gefolgschaft sind nicht ohne. Mein persönlicher Beitrag: An Gramscis Grab auf dem römisch-a-katholischen Friedhof herumhocken, Pasolini lesen und hoffen, dass der Genosse Berlinguer eine gute Idee hat. Sorry für so viel Harmlosigkeit…

Aber ist das alles wirklich vergleichbar? In mir sperrt sich einiges dagegen.

Auf der einen Seite schulisch-studentisches-linkes Dawider: Protest gegen Vietnam, gegen Agent Orange. Plus romantisches Re-Enactment der 1920er Jahre, plus Naivität, was das reale Handeln der jeweiligen „Vaterländer aller Werktätigen“ irgendwo auf der Welt angeht.

Auf der anderen Seite: Leugnung und Verharmlosung des Holocaust, „Humor“ im Stürmer-Stil?

Was mir besonders übel aufstößt: Dass nun Markus Söder der Schiedsrichter in der Causa sein soll – der prinzipienloseste Politiker im ganzen Land, der bekanntermaßen nur danach urteilt, was ihm nutzt im Augenblick.

Wenn bei ihm eine demokratisch-liberale Grundhaltung erahnbar würde (auch gegen die Orban-Anbeter in seiner eigenen Partei), dann wäre das versöhnlich.

Aber (mein Tipp): Er wird Aiwanger nur „rügen“ – zum wievielten Male eigentlich, und dann auf Machttaktik machen wie gehabt.

Fazit: Das reicht nicht für Kanzleramt.

Mehr zum Autor hier.

Über Reinhard Olschanski / Gastautor:

Geboren 1960, Studium der Philosophie, Musik, Politik und Germanistik in Berlin, Frankfurt und Urbino (Italien). Promotion zum Dr. phil. bei Axel Honneth. Diverse Lehrtätigkeiten. Langjährige Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent im Bundestag, im Landtag NRW und im Staatsministerium Baden-Württemberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Politik, Philosophie, Musik und Kultur. Mehr über und von Reinhard Olschanski finden sie auf seiner Homepage.

Ein Kommentar

  1. Martin Böttger

    In meiner Schulzeit (1963-76) mitten im Ruhrgebiet (Emscherzone) gab es zwar Nazis unter den Studienräten. Unter den Schüler*inne*n haben sie – es gab sie sicher – so eingeschüchtert und intensiv die Klappe gehalten, dass ich mich heute an keinen einzigen erinnern kann. Ich weiss dagegen, dass ich meine letzten Schuljahre sehr genossen und politisch in extrem angenehmer Erinnerung behalten habe. Der rechte Rand war seinerzeit die “Schülerunion” und konservative Katholik*inn*en, also die Marke “FriedrichMerz” (auch genauso dumm), deren Schülersprecher unmittelbar nach meinem Abi erfolgreich abgewählt wurde.

    Mehr zu Söders Kalkül hier:
    https://www.telepolis.de/features/Zwischen-Taktik-und-Stammtisch-Warum-Markus-Soeder-an-Hubert-Aiwanger-festhaelt-9293533.html

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