Was Fussballfans suchen – aus Anlass einiger Pokalspiele

Am Dienstag stand ich im kalten Regen auf Bahnsteig 2 des sogenannten Bahnhofes Beuel. Der Bahnhof ist für die jahrzehntelangen Arbeiten an einem wenige Kilometer langen S-Bahnabschnitt von jeglichen Überdachungen und Wetterschutz befreit. Von 9-17 Uhr arbeitet dort ein richtiger Mensch am Fahrkartenschalter. Also abends und am Wochenende menschenleer. Obwohl: im Stellwerk am Bahnsteig 1 habe ich Licht gesehen. Was passiert dort wohl?

Auf Bahnsteig 2 warteten zahlreiche Menschen mit mir auf den Zug nach Köln. Der DB-Navigator und die Bahnsteiganzeige (nur eine am vorderen Ende) kündigten ca. 5 Minuten Verspätung an. Dann näherten sich drei Lichter einer Lok. Alle machten sich zum Einsteigen bereit, doch oh Schreck: das war ein Güterzug. Als er durch war, hörten wir die Ansage, “Achtung Zugbetrieb – betreten Sie nicht den gekennzeichneten Bereich …” Aha. Während dieses u.U. lebensgefährlichen Vorgangs erkannte ich Fans meiner Borussia Mönchengladbach. Sie wollten zum Pokalspiel gegen VW – ich nur bis Köln-Ehrenfeld zum Gänseessen. Mit 30 Minuten Verspätung erschien dann unser Zug – ohne jegliche Vorabinformation. Mein Gänseessen erreichte ich mit Mühe und durchgefroren. Ob die Fans den Anpfiff erreichten? Daran zweifle ich.

Erst drei Stunden später werden sie erkannt haben, welches Glück sie damit hatten. Nachdem unsere Borussia VW vor wenigen Tagen noch mit 4:0 aus dem Stadion gespielt hatte, wurde am Dienstag nur Gurkenfussball geliefert, zwei Stunden lang. Und erst, als alle schon glaubten, beim Elfmeterschiessen weiterfrieren zu müssen, erbarmte sich Manu Koné und köpfte den Ball ins VW-Tor. Diese Dramaturgie werden die durchgefrorenen 50.000 Menschen im Stadion noch ihren Enkelkindern erzählen. Diese nächtliche Heimfahrt konnte selbst die Deutsche Bahn AG ihnen nicht mehr verderben.

Verhasste “Effizienz”

Im Profifussball und seinen eskortierenden Medien wird so ein Vorgang als “Effizienz” gefeiert. It’s the economy, stupid! Die Mehrheit der Fans ist aber nicht im Stadion, sondern vor der Glotze. Meistens in der Kneipe (Pay-TV), in diesem Fall im Wohnzimmer (ARD). Sie wollen nicht gequält werden, werden es aber, fortgesetzt. Fans der anderen Borussia aus Dortmund wissen, was ich meine. Der weise César Luis Menotti wusste zwischen rechtem und linkem Fussball zu unterscheiden. Der Linke ist der Schöne, der Rechte der Effiziente. Selten trifft der Linke mit Effizienz zusammen, personifiziert in Stars wie Diego Armando Maradona Franco oder Sócrates Brasileiro Sampaio de Souza Vieira de Oliveira oder in den Teams von Brasilien 1958, 1970, 1982, Frankreich 1998, Deutschland bei der EM 1972, Borussia Mönchengladbach in den 70ern.

Das wahre Leben ist eins voller Widersprüche. Unsere beiden westdeutschen Borussias haben furchtbar gespielt, ihre zahlreichen Fans gequält, und hören mutmasslich nicht damit auf. Ihre vereinspolitischen Führungen wollen in der DFL sogar für den Einmarsch von Investoren-Heuschrecken und Haien stimmen. Damit stellen sie sich gegen den Kern ihres eigenen Vereins, seine (alte) Substanz, von altmodischen Menschen “Werte” genannt.

Den “linken” Fussball dagegen haben gestern und vorgestern ausgerechnet die Betriebsmannschaften von Bayermonsanto und Daimler gespielt. Welt- und Migrationsauswahlen sind sie übrigens alle: die gut und schön aufspielenden, wie die schlechten. Im deutschen Profifussball gibt es keinen Fachkräftemangel, weil es auch kein Migrationsproblem gibt. Die Arbeitskräfte haben sogar eine freie Wahl der Staatsbürgerschaft – allerdings nur die, die den Sprung zu (TV-)Stars schaffen, das sind weniger als 5%. Ich habe jedenfalls gestern entschieden, dass ich diesem VFB Stuttgart noch öfter zuschauen will. Und das – Sie können mir glauben, dass mich das quält – obwohl er von einem Hoeness gecoacht wird.

Zum BVB hat sein Kapitän Emre Can gestern das Nötige gesagt. Einer, der nicht mit Erdogan posiert hat. Das realistische Unternehmensziel für die Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA ist unter solchen Umständen das meiner Gladbacher Borussia: “einstelliger Tabellenplatz”. Für meine ein schöner Erfolg, für die in Dortmund ein benkoartiger Zusammenbruch.

Mein Perspektivziel: Abstieg in die Zweite Liga zu Nürnberg, Schalke, Kaiserslautern, Hertha BSC, Braunschweig, HSV, St. Pauli, Hannover, Fortuna … der FC Köln kommt sicher mit. Sollen die Plastikvereine in der Ersten doch unter sich bleiben. Und dann sehen wir ihnen dabei zu, wie verzweifelt sie um einen TV-Vertrag betteln.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net